Bibel und christlicher Glaube

gottesbotschaft.de - 28.03.2024
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Friedensreich

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Das Friedensreich




Man wird niemand Schaden tun noch verderben auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voll Erkenntnis des HERRN, wie Wasser das Meer bedeckt.

Jesaja 11,9 (Luther 1912)


Leise fiel der Schnee und hüllte die Landschaft wie mit einem weißen Tuch ein. Die Kirchturmuhr zeigte bereits kurz nach Mitternacht an. Fast alles war dunkel, nur aus einem Fenster leuchtete noch etwas Licht. Im Zimmer lag ein alter Mann in seinem Bett. Einige Leute standen um das Bett herum und unterhielten sich flüsternd. Man sah, dass es bei dem alten Mann dem Ende zu ging. Eine ältere Frau saß neben dem Bett auf einem Stuhl und kämpfte mit den Tränen, während sie liebevoll das Haupt des alten Mannes streichelte.
Auf einem Tisch stand eine flackernde Kerze und gab dem abgedunkelten Zimmer mit ihrem tanzenden Licht einen etwas mystischen Schimmer.
Immer wieder sah man ein leichtes Zucken in den Gesichtszügen des alten Mannes, als wollten sie ein beglücktes Lächeln ausdrücken. Filmgleich zogen Szenen aus längst vergangenen Tagen an seinem inneren Auge vorbei. Dann murmelte er etwas vor sich hin, und alle im Zimmer unterbrachen ihre leisen Gespräche und versuchten, etwas von seinen Lippen abzulesen oder ein Wort zu erhaschen. Dann war es wieder für kurze Zeit still.

Wie viel hatte er nicht schon erlebt! Einst war er als Handelsreisender in der Welt unterwegs gewesen. Er kannte die Chinesische Mauer, auch die Pyramiden Ägyptens waren ihm nicht fremd. Seine Reisen brachten ihn in die entferntesten Winkel der Welt. Stets hatte er auch ein Auge für die Menschen um ihn her gehabt. Was hatte er nicht für Elend und Not mit ansehen müssen! Die einen Menschen unterdrückten die anderen. Wer gerade mehr Macht hatte, beutete die anderen Menschen aus. Gab es irgendwo kleine Aufstände oder gar große Revolutionen und die Verhältnisse änderten sich, dann war über kurz oder lang ein vorher Geknechteter am Ende genauso in der Rolle eines Unterdrückers wie die zuvor Entmachteten. Oft ließ sie die Angst, gerade erworbenen Wohlstand oder die gewonnene Macht nicht wieder zu verlieren, schlimmer handeln als ihre Vorgänger. Hatten sie erst noch groß getönt von Gleichheit und Brüderlichkeit oder sonstigen „hohen Zielen“, so schien es am Ende sie selbst nicht mehr zu betreffen, sondern stets die anderen. Manche riefen: „Macht die Schwerter zu Pflugscharen!“, doch taten dies tatsächlich einige Menschen, so nutzen die anderen, die ihre Schwerter noch hatten, das oft nur umso schamloser aus, um die Macht an sich zu reißen.
„Wann wird denn endlich mal Frieden herrschen?“, so fragte der Mann sich so manches Mal. Ob es jemals so eine Welt geben würde, in der alle Menschen in Harmonie und in Frieden miteinander leben könnten? Er war sich nicht sicher, sah er doch immer wieder, dass das Böse im Menschen steckte und es manchmal nur eine Frage des Zeitpunktes und der Umstände war, dass dies alles ans Licht kommen würde. Hatte jemand Reichtum, gierten gleich alle nach einem Anteil und stellten sich als gute Freunde dar. Und war dann der Reichtum verflogen, war es auch mit der so gepriesenen Freundschaft zumeist aus. Wie sollte in so einer Welt, in der jeder nur an sich und sein Wohl dachte, jemals Friede herrschen können?

Die Kirchturmglocken schlugen gerade die nächste volle Stunde. Es war mittlerweile zwei Uhr nachts. Am Abend würden die Glocken besonders lang anhaltend klingen, weil es dann Heiligabend war und die Menschen traditionell die Kirchen füllen würden. Ob der alte Mann wohl diesen Abend noch erleben würde, an dem die Geburt des Gottessohnes gefeiert wird?
Mit halbem Ohr hörte der Mann die Glocken läuten. Dabei gingen seine Gedanken einige Jahre zurück an einen besonderen Heiligabend. Es war ein bitter kalter und stürmischer Tag gewesen. Eigentlich hatte der Mann mit dem Glauben an Gott nicht viel zu tun. Aber an diesem Abend hatte er auch den Weihnachtsgottesdienst besucht, weil seine Tochter und die Enkel ihn dazu eingeladen hatten. „Na ja, es schadet ja nichts, sich mal das Krippenspiel anzuschauen“, brummelte er vor sich her und folgte seinen Lieben. Doch was er dann in der Predigt hörte, konnte er fast nicht glauben: Plötzlich war es ihm, als hätte ihm Gott selbst Augen und Ohren geöffnet, als von dem, was die Engel bei Jesu Geburt sangen, die Rede war. Was hatten die Engel damals gesungen? „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“, so wurde es aus der Bibel vorgelesen. Hatte er, der recht angesehene Mann, denn auch Gottes Wohlgefallen? Bisher hatte er sich um Gott und dessen Willen nicht gekümmert. Wie konnte er dann Gottes Wohlgefallen haben?
Dann wurde weiter aus der Bibel zitiert: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst."
„Friede-Fürst“, so wiederholte er nachdenklich mit murmelnder, gedämpfter Stimme. War es denn nicht das, was er in der Welt immer so sehr vermisste? Einen Herrscher des Friedens, der den Menschen Frieden bringen würde? Doch hatte Jesus damals der Welt den Frieden gebracht? Er wusste nur zu gut, dass Jesus von den meisten Menschen abgelehnt wurde, die sich somit für den Unfrieden entschieden hatten. Bis heute hatte sich ja nichts daran geändert. Aber hatte nicht Jesus den Frieden vorgelebt? Ja, Jesus lebte selbst vollkommen vor, was er lehrte! Er verkörperte in seinem Auftreten jene Werte, auf denen eine neue, gerechte und friedvolle Welt wachsen kann. Und dabei hatte er als Schöpfer und König aller Könige die Herrlichkeit verlassen und war auf die Erde als einfacher, kleiner Mensch gekommen. Sogar die Geburt geschah in einem Stall. Kein Revolutionär hätte sich selbst so erniedrigt. Später als dieser Jesus dann Jünger hatte, die ihm folgten, wusch er diesen gar die Füße! So etwas gab es noch nie zuvor in der Geschichte, war sich der Mann sicher.
Und er erinnerte sich daran, was er mal gehört hatte, dass Jesus in der Zukunft einmal ein neues Friedensreich bauen würde. Bei dem Gedanken musste der Mann etwas seufzen. Ja, da wäre er dann auch gerne dabei!
Jäh wurde er aus seinen Gedanken herausgerissen. Eines seiner Enkelkinder zog an seinem Ärmel und rief: „Opa, der Gottesdienst ist zu Ende! Komm mit nach Hause!“
„Ja, ich komme“, entglitt es seinen Lippen, aber in Gedanken war er noch bei dem, was da erzählt worden war. Bei diesem Friedefürsten wollte er auch einmal sein, das war nun sein fester Entschluss. Wie einst der Sünder im Tempel in Jesu Gleichnis, so schlug er sich innerlich an die Brust: „Herr, sei mir Sünder gnädig." Mit diesem Herzensschrei folgte er dann den Enkelkindern nach draußen. Ein wunderbarer Friede hatte sich in sein Herz gelegt.

Als er dann zu Bett gegangen und eingeschlafen war, hatte er einen Traum, der ihn sehr beeindruckte.
In diesem Traum stand er auf einem hohen Berg und sah unten im Tal die sündenverseuchte Welt noch viel hässlicher und abstoßender als je zuvor. Hass, Eifersucht, Gier, Missgunst, Lug und Trug und vieles mehr, wo er auch hinschaute.
Plötzlich ertönten himmlische Posaunen. Der Himmel riss entzwei und ein wunderbares Licht umflutete ihn. Engel kamen ihm entgegen, nahmen ihn an der Hand und führten ihn hinauf zu diesem Licht.
Was er da erblickte, lässt sich kaum beschreiben. Solch Glanz und Herrlichkeit war fast nicht mehr für ein ungeübtes Auge zu ertragen. Alles war von hellem, warmem, liebe- und friedvollem Licht durchflutet. Alles war rein und kristallklar. Die Straßen waren aus Gold und die Tore aus reinen und herrlichen Edelsteinen. Er kannte sich mit Edelsteinen gut aus, hatte er doch weltweit mit Schmuck, Gold und kostbaren Edelsteine gehandelt. Doch was er hier sah, stand in keinem Verhältnis zu dem, was er sonst als herrlich zu bezeichnen pflegte.
Aber damit nicht genug: Die Menschen dort begegneten einander mit Hochachtung. Jeder schien darauf bedacht zu sein, dem anderen in Ehrerbietung zuvorzukommen. Einer achtete den anderen höher als sich selbst. Es herrschte eine wunderbare Harmonie. Dann sah er im Zentrum der Stadt einen Thron, von dem Licht und Friede bis in den letzten Winkel ausstrahlte. Alles schien vom Thron Gottes auszugehen.
Nirgends konnte er Leid oder gar Tränen sehen. Schlagartig erkannte er, warum die Bibel so nachdrücklich davon sprach, dass kein Unreiner und niemand, der die Sünde liebte, hier einziehen durfte: Nur wer die Gesinnung dessen hatte, der auf dem Thron saß und seine Mitmenschen liebte, konnte hier einziehen, denn sonst würde diese Harmonie gestört. Nun begriff er die Bedeutung des obersten Gebotes: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst."
Es war der herrlichste Traum, den er jemals gehabt hatte.

Wieder schlug die Turmuhr. Sie war noch nicht lange verhallt, da ließ ein tiefer, aber friedvoller Seufzer alle, die um das Bett standen, zusammenfahren. Deutlich war ein Strahlen um das Gesicht des alten Mannes zu sehen ‒ ein Glanz heller Freude. Dann wurde alles ganz still, nur noch das leise Ticken der Uhr auf dem Nachttisch war zu hören. Hatte er schon etwas von der Herrlichkeit sehen dürfen, bevor er dorthin hinüberging?